Der erste Rhetorikwettbewerb im Vechelder Schulzentrum
Vor Corona war unsere Teilnahme an den Rhetorikwettbewerben in Braunschweig immer ein fester Bestandteil unserer Planung, und viele unserer Schüler*innen haben dort beachtliche Erfolge erzielt. Zurzeit ist allerdings noch ungewiss, ob der Wettbewerb in Braunschweig bald wieder stattfinden wird.
Da es für uns überaus wichtig ist, rednerisches Talent zu fördern, haben wir gemeinsam mit der Realschule nun etwas ganz Neues geschaffen, und so begann am 26.April um 15.00 Uhr im Forum der Realschule unser erster gemeinsamer Rhetorikwettbewerb.
Wir sehen darin eine Chance, als Schulgemeinschaft miteinander zu kooperieren und Ideen und Gedanken auszutauschen. Um nicht den Eindruck zu vermitteln, gegeneinander anzutreten, haben wir auf die Vergabe eines Preises an die besten Redner*innen verzichtet. Stattdessen würdigten die Jurys für die Jahrgänge 9/10 und für den Jahrgang 11 jede einzelne Leistung. Und das hatten alle Redner*innen beider Schulformen auch verdient.
Insgesamt meldeten sich vierzehn Schüler*innen für den Wettbewerb an. Auffallend viele aus unserem 9.Jahrgang, und diese Auftritte hatten es in sich. Wie man in diesem Alter bereits so mutig sein kann, vor ca. dreißig oft völlig fremden Menschen aufzutreten, den Blickkontakt zum Publikum zu wahren und sogar, wie Nele Kramer und Felix Graupner, völlig frei zu sprechen, das weckte Staunen und vor allem Bewunderung. Und das galt ebenso auch für die Inhalte und die Überzeugungskraft der Argumente.
Als Themen für die Jahrgänge 9 und 10 standen zur Auswahl: „Ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht sinnvoll?“ – „Sollte es ein Wahlrecht mit 16 geben?“ – „Wie erreichen wir eine Welt ohne Müll? – „Sollte die Bundeswehr aufrüsten?“ – „Sind soziale Medien eine Gefahr für die Demokratie?“
Die Forderung nach einer Herabsetzung des Wahlrechts hatten gleich drei Neuntklässler*innen gewählt. „Wir dürfen mit 16 heiraten. Wir sind religionsmündig, aber wählen dürfen wir nicht, obwohl wir mitbestimmen wollen“, klagte Jonna Breuer. „Es gibt 16-Jährige, die bereits Steuern zahlen. Fördert ein Wahlrecht mit 16 nicht auch die Demokratisierung?“, fragte Nick Pullner, und Niklas Majohr zitierte Henry de Montherlant: „Die Welt vergöttert die Jugend, aber regieren lässt sie sich von den Alten.“
Von der Echokammer der sozialen Medien, in der man nur noch das hört, was man selbst denkt, sprach Nele Kramer, während der Zehntklässler Tom Mehrens belegte, wie sehr YouTube oder Instagram an einer Gewinnmaximierung interessiert sind.
Mit der Wehrpflicht und der Aufrüstung der Bundeswehr befassten sich drei weitere Zehntklässler. Zwar sei, so Marvin Becker, eine Wiedereinführung der Wehrpflicht wegen der hohen Kosten und dem Fehlen von Kasernen gar nicht möglich, dennoch plädierten Arti Demaj und Hischem Souissi für eine Aufrüstung der Bundeswehr, denn nur sie könne die Sicherheit Deutschlands und Europas gewähren. Dass der Überfall Russlands auf die Ukraine hier ein Umdenken bewirkt hat, war in diesen Reden zu spüren.
„Wir haben vergessen, was ein guter Gast ist“, beklagte der Neuntklässler Felix Graupner, „denn ein guter Gast würde die Erde nicht zerstören.“ Am Schluss seiner Rede wandte Felix sich direkt an die Jury: „Alles, was ich trage, selbst die Schuhe, ist aus abbaubaren Material.“
Eine halbe Stunde nahm sich die Jury für die Jahrgänge 9/10 , bestehend aus Frau Balhorn und Frau Bollmann von der Realschule und Frau Söllner vom JSG, Zeit, um angemessene Würdigungen zu formulieren. So viel Zeit musste sein, denn so vielfältig und imponierend waren die Eindrücke.
Um 17.00 Uhr schlossen sich dann die Vorträge der fünf Schülerinnen aus unserem Jahrgang 11 an. Sie fokussierten sich auf zwei Themen: „Schule ohne Rassismus. Wie können wir das schaffen?“ – „Die Schule auf dem Prüfstand. Was sollte sich wandeln?“
Ganz offen sprachen die Rednerinnen dabei Vorurteile, Missstände und mangelnde Sensibilität an. Tabea Wilke forderte mehr Wahlfreiheit bei der Kurswahl, ginge es doch um eine „Zukunft, die eine Arbeit und ein Leben nach unseren Begabungen ermöglicht.“
Große Stille herrschte im Raum, als Nehle Maercker an dem Satz „Deine Haut sieht ja aus wie Schokolade.“ veranschaulichte, was in einem Kind vorgehen muss, das so angesprochen wird. Ebenso hochsensibel näherte sich Yade Simsek dem Problem des Alltagsrassismus: „Du sprichst aber gut Deutsch. – Du trägst kein Kopftuch. – Wirst du zu Hause geschlagen? – Worte, die bestimmte Bevölkerungsgruppen in Deutschland ein Leben lang begleiten. Auch mich. Aber Schule sollte doch der Ort sein, an dem ich mich wohlfühle. Der Ort, an dem ich mich akzeptiert fühle. Der Ort, der mich positiv prägt.“
Anna Heithecker sprach mit profunden Kenntnissen über die Leichtfertigkeit, mit der Lehrer*innen über die Ängste von Schüler*innen hinwegsehen: „Dazu gehören Zitate wie: Trau dich doch einfach mal. Ich beiße doch nicht. Jeder muss vor der Klasse vorstellen, dann wirst du das wohl auch schaffen.“
Leoni Reinema überraschte das Publikum mit dem Problem, das sich ergibt, wenn der Vater schulpflichtiger Kinder aufgrund des Berufs mehrmals das Bundesland wechseln muss. Die großen Unterschiede im Lehrplan verhindern, dass Kinder nachziehen. „Ich fordere mehr Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Ländern, bundesweit einheitliche Schulsysteme, eine zukunftsorientierte Ausbildung und Synergien zu nutzen, um Kosten zu sparen.“
Beeindruckt von der Vielfalt und Differenziertheit der Argumente sowie der Leidenschaft beim Vortragen der gründlich vorbereiteten Reden zeigte sich das Publikum. Die vielen Lehrkräfte, Eltern und Mitschüler*innen erhielten zahlreiche Denkanstöße, denn hier sprachen vierzehn junge Menschen, die mitgestalten wollen und konkrete Vorschläge haben. Es ist ratsam und klug, ihnen zuzuhören. So gestaltet war auch das Lob der Jury, bestehend noch einmal aus Frau Bollmann von der Realschule sowie Frau Schlordt und Herrn Aepkers vom JSG.
Dass es einen solchen Wettbewerb, der zum Ideenaustausch beiträgt, unbedingt auch im kommenden Schuljahr geben müsse, hoben Frau Mürmann, unsere kommissarische Schulleiterin, und Herr Könnecker, Leiter der Realschule Vechelde, hervor.
Beide zeigten sich überaus begeistert und beeindruckt von den Leistungen der Schüler*innen und der guten Stimmung während der dreistündigen Veranstaltung, in der zu spüren war, wie konzentriert alle den Redner*innen zuhörten.
Die Schulleitungen und Frau Schlordt, Leiterin des Faches Deutsch am JSG, dankten der Jury, den Lehrkräften, welche die Schüler*innen beim Vorbereiten ihrer Reden unterstützt, und denen, die diese Veranstaltung vorbereitet hatten, Frau Bollmann und Herrn Nührig, der sie auch moderierte.
Wir freuen uns schon jetzt auf den Rhetorikwettbewerb in unserem Schulzentrum im Jahre 2024.
Text: Klaus Nührig
Fotos: Kristina Marotz und Dorothee Schlordt