Eine Videoschaltung kann einen Rhetorikwettbewerb nicht ersetzen. Deshalb musste er in den Coronajahren ruhen.
Mit einem neuen Konzept und in neuen Räumlichkeiten, aber wieder veranstaltet von der Öffentlichen Versicherung Braunschweig in Kooperation mit dem „Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Braunschweig“ konnte es am 13.Februar endlich wieder losgehen.
Alle weiterführenden Schulen im Einzugsbereich der Öffentlichen Versicherung Braunschweig waren eingeladen worden, und das Gymnasium Gaußschule, das Lessinggymnasium, die IGS Heidberg, das Gymnasium Große Schule in Wolfenbüttel und das Julius-Spiegelberg-Gymnasium in Vechelde schickten Rednerinnen und Redner.
„Rhetorik möchte gelebt werden“,  betonte Sebastian Heise, Pressesprecher der Öffentlichen Versicherung Braunschweig, bei der Begrüßung der Teilnehmenden sowie ihrer Freunde, Eltern und Lehrkräfte in den Räumlichkeiten des Event Space 381 in Braunschweig.
In einem Vortrag von maximal fünf Minuten sollte über eines der vier zur Auswahl stehenden Themen gesprochen werden, wobei nur das Thema „Wie sollte der Arbeitgeber der Zukunft aussehen?“ nicht gewählt wurde.

Drei Themen berührten alle offensichtlich am stärksten:

  • „Inwiefern können soziale Medien eine Gefahr für die Demokratie darstellen – und wie können wir dem entgegenwirken?“
  • „Schule ohne Rassismus – wie können wir dieses Ziel gemeinsam erreichen?“
  • „Wie lässt sich Künstliche Intelligenz in den Schulalltag integrieren?“

Die dreiköpfige Jury, die aus Sebastian Heise und Franziska Hoffmann von der Öffentlichen  Versicherung und dem schulfachlichen Dezernenten Guido Stolle vom „Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Braunschweig“ bestand, bedauerte es, nur drei der Rednerinnen und Redner mit einem Pokal auszeichnen zu dürfen, und zwar eine Rednerin von der Großen Schule Wolfenbüttel sowie Malte Kern und Yade Sümeyye Simsek vom JSG.

Gern hätte die Jury auch Leoni Reinema vom JSG geehrt, denn Leoni, die wie Malte darüber sprach, inwiefern soziale Medien eine Gefahr für die Demokratie darstellen und wie wir dem entgegenwirken können, hatte sich wunderbar strukturiert des Themas angenommen und dabei die Gefahren, aber auch die Chancen der sozialen Medien benannt, und dies gelang ihr mitreißend am Beispiel des fiktiven Tom.

„Tom ist 13. Er verbringt täglich mehrere Stunden auf TikTok. Dabei stößt er wieder und wieder auf bestimmte Beiträge: Beiträge, die ihn zu Michael führen.
Michael zeigt ihm mehr solcher Beiträge – Propaganda, Videos, die Gewalt glorifizieren und Nationalsozialisten als Helden darstellen.
Michael ist wie ein Mentor – Schritt für Schritt führt er durch das Meer der wirklichen Wahrheit. Dabei wird der 13-jährige Tom Schritt für Schritt radikalisiert.“
Jedoch – so betonte es Leoni – das Internet hat auch eine ganz andere Seite.
„Aber der 13-jährige Tom hätte auch auf jemanden stoßen können, der ihn online über demokratische Grundprinzipien aufklärt. Auf Kampagnen, die zur aktiven demokratischen Partizipation motivieren und die ihn animieren, politisch aktiv zu werden.“
Für Leoni hieß daher die Lösung:
„Keine Abschaffung der bittersüßen Medien, sondern Bildung und Aufklärung, vor allem bei jungen Menschen. Die Vorteile der schnellen Kommunikation und Erreichbarkeit der Jugend nutzen. Online, in der Schule, zu Hause: Wir müssen aufklären über geheime Zeichen, versteckte Botschaften, Fake News. Wir müssen Medienkompetenz vermitteln, Fertigkeiten, um das mächtige Werkzeug Social Media verantwortungsbewusst nutzen zu können.“

Wie Leoni, so überzeugte auch Malte Kern über eine perfekte Körpersprache. Malte näherte sich dem Thema gleich im Einstieg mit erschreckenden Zitaten:
„Wir können die [Migranten] nachher immer noch alle erschießen, das ist überhaupt kein Thema, oder vergasen, oder wie du willst, mir egal.“
Oder: „Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappt’s auch mit der Freundin!“
Beim zweiten Beispiel zitierte Malte den Spitzenkandidaten für die kommende Europawahl der AfD, Maximilian Krah, und Malte fügte hinzu:
„Ich habe euch dieses Zitat aus einem seiner TikTok-Beiträge mitgebracht. Aus einem TikTok-Video, welches 1,4 Millionen Aufrufe erhalten hatte und damit deutschlandweit unter der jüngeren Bevölkerung viral gegangen ist.“
Und Malte forderte: „Die sozialen Medien müssen endlich richtig dazu verpflichtet werden, ihre Algorithmen zu verändern und Lüge und Hass rauszufiltern. Mit Androhung von hohen Strafen, weil es sonst nicht passieren wird. Es darf sich wirtschaftlich nicht mehr lohnen. Aber auch die Parteien müssen endlich im 21. Jahrhundert ankommen! Die SPD hat es Anfang dieses Jahres endlich geschafft, einen TikTok-Account zu eröffnen. Die CDU hat immer noch keinen. Währenddessen hat die AfD mehr als 350.000 Follower.“
In der Laudatio auf Malte Kerns Rede hob Sebastian Heise hervor, dass der Redner mit Zitaten rechtsextremer Politiker sofort die Aufmerksamkeit der Zuhörenden geweckt und sie mitgerissen habe. Die Struktur der Rede und ihre Faktensicherheit hätten beeindruckt. Die verwendeten rhetorischen Fragen hätten uns alle angesprochen und zum Mitdenken angeregt. Gestik und Mimik seien gezielt und wirkungsvoll eingesetzt worden. Aber wie letztendlich das Problem gelöst werden könne, die sozialen Medien zu kontrollieren, ohne die freie Rede zu sehr einzuschränken, habe der Redner offengelassen.

Yade Sümeyye Simsek hatte sich des Themas „Schule ohne Rassismus – wie können wir dieses Ziel gemeinsam erreichen?“ angenommen.
In seiner Laudatio betonte Guido Stolle, wie sehr sie durch die Authentizität ihres Vortrags beeindruckt habe. Eigene Erfahrungen mit verletzenden Kommentaren habe sie in ihrem sehr persönlichen Einstieg auf eine mutige und bewegende Weise angesprochen.
Du sprichst aber gut Deutsch. Selbst wenn hinter dieser Aussage keine böse Absicht steckt und sie vielleicht sogar als Lob gemeint sein soll, sie ist kein Lob.
Ich bin hier geboren. Hier in Braunschweig  Wenn mir jemand sagt Du sprichst gut Deutsch, gehöre ich dann immer noch nicht dazu? Traut man mir nicht zu, dass ich so gut Deutsch spreche wie andere? Bin und bleibe ich eine Fremde? (…)
Wirst du zu Hause geschlagen? Diese Worte hörte ich in der 5.Klasse zum ersten Mal.
Ich war total überfordert, weil mir so eine Frage zuvor nie gestellt worden ist. Ich habe mich als Kind gefragt, wie es überhaupt zu so einer Frage kommt, ob etwas falsch mit mir sei, weil andere Kinder so etwas nie gefragt wurden. Die Antwort auf diese Frage habe ich erst erfahren, als ich älter wurde und immer mehr mit solchen Aussagen konfrontiert worden bin.
Es waren und sind Vorurteile, welche fest verankert sind. Wie entstehen diese Vorurteile? Was haben diese Leute zuvor gehört? Warum verallgemeinern sie das Gehörte? Jeder weiß, dass auch in deutschen Familien Kinder und Frauen geschlagen werden. Warum unterstellt man anderen ein solches Verhalten?  Fühlt man sich dann Anderen überlegen? Hilft es, über die eigenen Schwächen und Fehler hinwegzusehen?  Ist fehlende Auseinandersetzung mit unseren Vorurteilen vielleicht immer ein Zeichen für die eigene Schwäche? Für eine Weigerung, die Welt in ihrer Komplexität sehen zu wollen? (…)
Hass prägt Menschen, vor allem Kinder macht er ängstlich, lässt sie sich ausgeschlossen fühlen. Helfen Sie uns dabei, das zu verhindern, und eine bessere Welt zu schaffen!“

Alle Reden der acht Teilnehmenden beeindruckten uns. Einige sogar zutiefst.
Alle Reden bewiesen, wie aufmerksam und auch sorgenvoll gesellschaftliche Entwicklungen von Jugendlichen wahrgenommen werden. In diesem Sinne vermittelten sie gerade wegen der Vielfalt der angesprochenen Probleme auch Hoffnung.

Text: Klaus Nührig (Mit Zitaten aus den Reden von Leoni Reinema, Malte Kern und Yade Sümeyye Simsek)

Fotos: Simone Kondruweit

Die Braunschweiger Zeitung/ Peiner Nachrichten berichteten in einem Artikel vom 17.02.24 über den Rhetorikwettbewerb.